Bergstudentisches Brauchtum in Leoben
Nach: Mag.a Corinna Schaffer, MA, Univ.Prof. Dr.phil. Dr.mont. Dipl.-Ing. Gerhard Sperl
Die Entstehung der Vordernberger Lehranstalt als Vorgängerin der heutigen Montanuniversität Leoben basiert vor allem auf den intensiven Bemühungen Erzherzog Johanns, eine montanwissenschaftliche Ausbildungsstätte für das steirische Eisenwesen zu schaffen. Am 4. November 1840 wurde diese „Steiermark-ständische Montan-Lehranstalt“ als Aufbauhochschule mit einer Studiendauer von zwei Jahren für Absolventen von Polytechnischen Lehranstalten (später auch von Universitäten) feierlich eröffnet. Für die Errichtung einer solchen Lehranstalt in Vordernberg sprachen für die Studienhofkomission vor allem zwei Tatsachen: Einerseits konnten die jungen Zöglinge durch etwaige Unterhaltungen und Zerstreuungen nich von ihren Studien abglenkt werden, andererseits war auch der praktische Anschauungsunterricht in den Radwerken und am nahe gelegenen Erzberg gegeben.
Peter Tunner, Gründer, erster Direktor und lange Zeit einziger Professor, schrieb einen Studienplan vor, in dem selbst die Geselligkeit seinem Diktat unterlag. Als Ausklang des Tages hielt man eine offizielle Kneipe, an der vermutlich auch Peter Tunner höchstpersönlich teilnahm, ab, bei der wohl Einiges getrunken, gesungen und auch angeregt diskutiert wurde. Diese Unterhaltung ist als Vorläufer der so genannten „Schachtabende“ zu sehen, jenes bergstudentische Brauchtum, welches nach 1848 von Schemnitz nach Leoben tradiert wurde.
Nach der Übersiedlung am 1. November 1849 nach Leoben bildeten die Studenten alsbald einen wichtigen Faktor im gesellschaftlichen Leben der Montanstadt und es kristallisierte sich auch ein akademisches Leben fernab des Stundenplans heraus.
Neben ihrer eigenen Tracht – dem Bergkittel, der fortan das Bild der Montanstadt prägen sollte, hatten die vielen nach Leoben „übersiedelten“ Studenten der Bergakademie Schemnitzer ein Potpouri diverser bergmännischer Bräuche im Gepäck, die das gesellige Beisammensein zum Inhalt hatten. An dieser Stelle sei vor allen Dingen der Zusammenschluß aller Studenten in der Vereinigung „Schacht“ zu nennen. Dieser gehörten ausnahmslos alle Hörer der Akademie an, den Vorsitz hatte ein so genannter „Bierkönig“ inne. Sinn und Zweck dieses Vereines war einerseits die Pflege der Geselligkeit, andererseits aber auch bergakademische Sitten hochzuhalten. Allsamstäglich abends trafen sich die angehenden Akademiker zum sogenannten „Schachttag“, an dem sowohl viel gesungen als auch getrunken worden ist.
In weiterer Folge entstanden aus der Verbindung aller Zöglinge, dem „Schacht“ zusätzliche Korporationen und Studentenverbindungen. Fortan prägten und prägen bunte Mützen und Bänder das Bild der Stadt und Leoben.
Zu weiteren Bräuchen, deren Ursprung in Schemnitz zu finden ist und welche in der bergakademischen Kanon der Leobner aufgenommen wurden, zählen beispielsweise auch der Ledersprung, die Philistrierung und der Bierauszug.
Leobner bergstudentisches Brauchtum heute
Im Gegensatz zum im gesamten Montanbereich üblichen Bergkittel wird der Biberstollen als Festtracht (so etwa auf Bällen oder einer Hochzeit) nur von Studenten und den Chargierten der Leobner Korporationen anstelle des sonst üblichen Flauses getragen. Bei dieser ganz spezifisch studentischen Tracht handelt es sich um einen straff sitzenden Rock mit samtbesetztem Stehkragen, dessen beide Seiten mit Schlägel-und-Eisen-Symbolen in Gold versehen sind, Schulterspangen ebenso in Gold gehalten, verschlossen mit Knöpfen, welche Schlägel-und-Eisen-Prägung aufweisen, breitem goldgepaspeltem Samtbesatz an beiden Oberarmen, sowie Samtbesatz am Ärmelaufschlag. Des Weiteren haben aber auch andere Dinge des akademischen Gebrauchs für die Montanistik spezifische Ausprägungen erhalten, wie beispielsweise der Talar von Rektor, Prorektor und Pedell der wesentliche Elemente des Bergkittels aufweist. Selbstredend ist daher auch, dass das Symbol der Bergleute (Schlägel und Eisen) auf der Montanuniversität nahezu omnipräsent ist.
Akademische Festivitäten im Jahreskreis
An jenem Freitag, der dem Festtag der Heiligen Barbara, also dem 4. Dezember am nächsten liegt, findet am frühen Vormittag die feierliche Immatrikulation der neu inskribierten Studenten statt, beziehungsweise gegebenenfalls auch die Inauguration des neu angetretenen Rektors. An diesem Abend wird auch der allseits beliebte Ledersprung zelebriert.
Dreimal jährlich veranstaltet die Montanuniversität akademische Feiern, in deren Rahmen die Graduierungen, Promotionen und weitere Ehrungen vorgenommen werden. Am Abend dieser Feierlichkeiten und an den darauffolgenden Tagen besiegeln die Philistrierungen den endgültigen Abschied vom Studentendasein. Sicherlich zu den prunkvollsten Veranstaltungen zählt der Universitätsball Ende Januar. Sein Ende findet das Studienjahr schließlich mit dem Bierauszug, bei dem die Studenten traditionsgemäß von ihrem Rektor die Entlassung in die wohlverdienten Ferien erbeten.
Der Leobner Ledersprung
Der Ledersprung ist ein „Event“ der Montanuniversität Leoben und ihrer Korporationen, das von einer durch den Rektor betrauten, das studentische Brauchtum pflegenden Verbindung in Form des „Ledersprungkommerses“ durchgeführt wird. Dabei passiert die Betrauung in der Reihenfolge der Gründungsjahre.
Als Ehrenposten beziehen die Bergleute in Tracht ihre Plätze im Eingangsbereich. Der Einzug der Chargierten, welche die Tafel am Podium und das Präsidium besetzen, wird von sieben Bläsern der Bergkapelle Seegraben begleitet, die zu diesem besonderen Anlass die Hochschulfanfare der Montanuniversität zum Besten geben -ein Stück, das nur bei Inauguration und Ledersprung erklingt. Dann ziehen Rektor und Professoren mit ihren Ehrengästen ein und nehmen ebenfalls an der Tafel am Podium Platz, dessen Hintergrund mit der österreichischen, der steirischen, der bergmännischen Fahne (in grün schwarz gehalten) und jener der vorsitzenden Korporation, sowie einer eindrucksvollen Ausführung des Hochschulsiegels dekoriert wurde. Umrahmt wird diese Festivität von offiziellen Liedern, die das Auditorium mitsingt, während nun das Präsidium nach der Begrüßung den Rektor bittet, den Ledersprungkommers zu eröffnen.
Die Erstsemestrigen, besser bekannt als „Fuxen“, ziehen nun hinter ihrem jeweiligen Fuxmajor, die Nicht-Korporierten hinter dem Vorsitzenden der Österreichischen Hochschülerschaft mit dem „Fuxenritt“ „Was kommt da von der Höh…“, ein Wechselgesang der Korona und der Einziehenden, in den Saal und beziehen ihre Plätze an den Fuxentafeln. Zur Durchführung des eigentlichen Sprunges über das Leder wurde zwischen dem Podium und den Fuxentafeln eine breite Gasse freigelassen, in deren Mitte (vor dem Platz des Rektors) ein Bierfass postiert wurde, flankiert von zwei Lorbeerbäumchen. Der Anmarsch der Springer erfolgt von der Korona aus gesehen von links, die Chargierten bilden vom Fass aus rechts die Chargengasse. Der älteste anwesende Bergingenieur und der Rektor nehmen neben dem Fass Aufstellung, um das Leder für die Springer zu halten. Die Springer besteigen der Reihe nach das Fass, bekommen ein Glas Bier gereicht und müssen sich den Fragen des Fuxmajors über Name, Heimat, Stand (Studienrichtung) und Wahlspruch stellen. Der Fuxmajor kontert nun mit der Zeile: „So leer Dein Glas und spring in Deinen Stand und halt ihn hoch in Ehren!“. Den Anweisungen des Majors folgend leert der Springer sein Glas, springt über das Leder und schreitet unter den gekreuzten Schlägern der Chargengasse hindurch. Jede Antwort wird dabei von der Korona mit lautem Beifall belohnt. Der Reihenfolge nach springen zuerst die neu berufenen Professoren und Assistenten und im Anschluss daran die Fuxen der präsidierenden Korporation. Ihrem Gründungsjahr entsprechend folgen danach die Fuxen und Gäste der Korporationen unter dem Kommando ihres jweiligen Fuxmajores, beziehungsweise am Ende die Nicht-Korporierten unter der Leitung des Vorsitzenden der Hochschülerschaft. Mit der „Alten Burschenherrlichkeit“ und der Hochschulfanfare wird der offizielle Part des Ledersprunges würdevoll beendet, die Geselligkeit und feierliche Stimmung hingegen findet an vielen Leobner Orten ihre Fortsetzung.
Die Philistrierung
Eine Graduierung zum Diplomingenieur ist mit der Tatsache verbunden, dass nun der Übertritt vom Studentendasein in die Berufswelt erfolgt, beziehungsweise für korporierte Studenten zudem in den Alt-Herren-Stand oder das Philisterium. Letzteres passiert in Leoben mittles eines von Korporation zu Korporation ein wenig modifizierten Ritus, den des Öfteren auch Nicht-Korporierte für sich in Anspruch nehmen, der der Sache nach benannten Philistrierung. Dabei formiert sich nach Anbruch der Dunkelheit ein Festzug, angeführt von Chargierten, danach auf einem kleinen Leiterwagen und mit genügend Bier ausgestattet, der Philistrand, welcher von Fuchsen und Freunden gezogen wird, dem ein Fackelzug, bestehend aus Bundesbrüdern, Freunden und Alten Herrn folgt. Singend bewegt sich der Zug durch die Stadt zum verschlossenen Hauptportal der Universität, wo bereits das Philistrierungs-Schild, ein schwerer Holzschild verziert mit montanistischen und Leobener Emblemen, angebracht wurde.
Der Philistrand, welcher sich auf den Schultern zweier Füchse, mit dem Rücken zum Schild befindet, wird nun ähnlich wie beim Ledersprung vom Fuchsmajor nach Namen, Heimat, Stand, Wahlspruch und zusätzlich nach der Anzahl der studierten Semester befragt. Auf den Ausspruch hin „Diese heiligen Hallen so oft nun sollen erschallen!“ stößt der Fuchsmajor unter Mithilfe der beiden Füchse den Philistranden der Anzahl der Semester entsprechend gegen den Schild, während die Korona lauthals mitzählt. Nun leert der Philistrierte ein Glas, das man ihm zuvor gereicht hat, lässt es am Boden zerschellen und springt mit einem Gruß an seinen Bund von den Schultern der Füchse.
Die Korona gibt einstweilen ihr jeweiliges Bundeslied und das Gaudeamus igitur zum Besten. Der Festzug begibt sich nun in Richtung Leobner Hauptplatz, wo vor dem Bergmannsbrunnen Stellung bezogen wird. Der Philistrierte schwingt sich nun auf den Brunnenrand und balanciert geradewegs zum Standbild, welches liebevoll „Barbara“ genannt wird und hält mit dem Bierglas in der Hand eine kurze Rede, welches anschließend wie bereits auch vor dem Hochschulportal, geleert wird. Um der feucht-fröhlichen Stimmung keinen Abbruch zu tun, geht die Festgesellschaft nun zur Fortsetzung der Kneipe über.
Der Bierauszug
Auch das Ende des Studienjahres wird von den Studenten der Montanuniversität Leoben feierlich begangen. Diesem, nahe der letzten akademischen Feier im Juni stattfindenden Event, sind unterschiedliche Traditionen inhärent. Früher gab es zwei Auszüge, wobei einer nach dem Ledersprung und der zweite vor den Sommerferien abgehalten wurde. Einmal wurde dieser Auszug auch stellvertretend für den aufgrund der Nationalitätenstreitigkeiten verhinderten Ledersprunges inszeniert. Heute wie damals schwingt jedoch die Erinnerung an den Auszug der deutschen Bergeleven aus Schemnitz 1848 mit. Der Bierauszug entsteht irgendwo in Leoben, an dessen Spitze die Chargierten marschieren, gefolgt von dem Wagen der Auszügler, ein mit Rössern bespannter Planwagen der „Gösser“-Brauerei, auf welchem sich die mit ausreichend Getränken versorgten Protagonisten befinden. Mit vorangetragener Tafel folgen ihnen die Zweit-, Viertsemestrigen et cetera und schließlich die „Verbummelten“, jene Personen, die ihre Semesterzahl besser verschweigen. Der Bierauszug, der sich in den Nachmittagsstunden formiert, bewegt sich nun Richtung Montanuniversität, wo man den Rektor bittet, die Studenten in die wohlverdienten Ferien zu entlassen. Die Antwort des Rektors in Form einer kleinen Ansprache erwidern die Studenten mit einem „Vivat Academia“ und ziehen singend zurück in die Stadt, früher zu einer öffentlichen Kneipe am Hauptplatz, in heutiger Zeit zu einer als „Bierdorf“ erklärten Gaststätte, wo die Festlichkeit auch durchaus bis in die frühen Morgenstunden andauern kann.
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